Es war einmal eine Lektorin und Biografin, die eines Tages unverhofft die Lektoratsanfrage eines jungen Mannes erhielt, der in vier Jahren Nachtarbeit im Geheimen einen 550 Seiten langen Roman geschrieben hatte. Und es zeigte sich, dass der junge Mann es eilig hatte, denn sein Roman musste unbedingt bis zum Tag X als Buch vorliegen – und dieser Tag war nicht mehr allzu fern.


Als sie Näheres über die Begleitumstände erfuhr, blieb ihr gar nichts anderes übrig, als den Auftrag anzunehmen, denn sie waren einfach märchenhaft: Der Autor hatte den Roman aus dem einzigen Grund geschrieben, ihn seiner Angebeteten zu Füßen zu legen und ihr damit einen Heiratsantrag zu machen. Wie viele Märchenprinzen mag es wohl geben, die ein Schlafdefizit von vier Jahren auf sich nehmen, um die Hand ihrer einzigen, wahren und großen Liebe zu erlangen?

Genau genommen war das Manuskript noch nicht ganz fertig; es stand also ein Wettlauf mit der Zeit bevor. Die (verfremdet gezeichneten) Protagonisten des Romans sind – es wird vielleicht nicht überraschen – der reale Autor und die Frau seiner Träume. In der Welt des Romans müssen sie Widerstände überwinden, Kämpfe ausfechten und um ihr Leben fürchten, ganz wie im Märchen.

Die Lektorin hatte noch nie einen so romantischen Auftrag erhalten und wähnte sich selbst wie im Märchen. Und sie sah, dass die Fantasie des jungen Autors grenzenlos war, und es verwunderte sie nicht, dass sich ein Teil des Manuskripts als Fantasy erwies.
Wir alle wissen, dass die schönsten Märchen ein gutes Ende haben. Märchenfiguren, die ihr Bestes geben, haben es sehr schwer, doch zum guten Schluss werden sie für alle ihre Entbehrungen belohnt. Die Liebenden, die sich so lange Zeit nacheinander verzehren mussten, finden sich und feiern ihre Hochzeit mit einem großen Fest.

Und tatsächlich, so war es auch hier: Das Buch wurde rechtzeitig fertig – unter Pseudonym – und lag in der Stammbuchhandlung des Liebespaares auf einem Büchertisch bereit, als es eines Tages gemeinsam die Buchhandlung betrat. Die Buchhändlerin war eingeweiht, und als der Autor durch einen fingierten Anruf weggerufen wurde, fragte sie seine ahnungslose Angebetete, ob sie bereit sei, das Buch als Testleserin zu lesen. Diese willigte ein und las daheim Kapitel für Kapitel, bis ihr Geliebter schließlich das Geheimnis lüftete und sie um ihre Hand bat.

Sie nahm seinen Antrag an.

Und nun ist es so weit: Sie feiern ihre Hochzeit – wie könnte es anders sein – auf einem Schloss.
Und sie werden glücklich miteinander leben bis ans Ende ihrer Tage!