In meiner Arbeit als Biografin leite ich auch Menschen an, die selbst schreiben wollen. Vor fünf Jahren begann in der Volkshochschule Göppingen die erste biografische Schreibwerkstatt. In einer kleinen Gruppe verfassten meine TeilnehmerInnen Erinnerungstexte und lasen vor. Es gab einiges zu staunen. Als ersten Schreibimpuls hatte ich mir überlegt:

„Ein schönes Erlebnis aus meiner Kindheit.“

So allgemein sollte das doch für alle passen. Prompt protestierte eine Frau: „In meiner Kindheit gab es keine schönen Erlebnisse.“

Schock. So schlimm?

Was nun?

Ich verwies auf Details, auf kleine, heitere Momente, die es vielleicht doch gegeben habe … und siehe da, alle schrieben drauflos.

Dann stand die erste Vorleserunde an. Insgeheim befürchtete ich, niemand würde sich bereit finden. Beispieltexte lagen bereit, um die erste Befangenheit zu überspielen. Aber siehe da − eine Frau las mutig vor – noch heute erinnere ich mich an das Sonnenlicht durch orangefarbene Vorhänge, mit dem ihr Text begann − wir waren berührt von ihrer Offenheit, und sie selbst staunte, als ich die poetische Kraft ihrer Zeilen lobte. Gerade sie war es gewesen, die zuvor gemeint hatte, sie habe nichts Schönes erlebt.

Nun las einer nach der anderen, der Bann, falls es einen gegeben hatte, war gebrochen.

Später notierte eine andere Frau in einen Feedback-Bogen: Beim Lauschen der anderen Geschichten blitzten bei ihr häufig eigene Erinnerungen auf, die tief versunken waren.

Dies sind die vier Überraschungen:

  • Mir fallen täglich neue Schreibimpulse ein, aber nie weiß ich vorher, ob sie taugen.
  • Die allermeisten TeilnehmerInnen lesen gerne vor.
  • Durch das gegenseitige Zuhören entsteht in der Gruppe eine Verbundenheit.
  • Beim Hören anderer Geschichten können aus Ihrem Unterbewussten verborgene Erinnerungen aufsteigen.

Und nun der Tipp zum Abschluss:

Fällt Ihnen einmal etwas aus Ihrem Leben ein, an das Sie lange nicht gedacht haben: Schreiben Sie es bitte gleich auf. Wenigstens eine kurze Notiz. Sonst sinkt es in die Vergessenheit zurück, oft für immer.

PS. Trotz des damals etwas holprigen Beginns trifft sich die Gruppe heute noch – und immer wieder kommen überaschende Geschichten ans Licht.